„Alles Yolo?“ Im Marketing schreibt man heute, wie man spricht. Und man traut sich was
Konsumenten kann man heute nicht mehr so ansprechen, wie es vor zehn Jahren noch in der klassischen Image-Broschüre der Fall war – das dürfte inzwischen auch bei Nicht-Social-Media-Marketern angekommen sein. Aber auch über Facebook & Co. hinaus hat sich die (An)Sprache stark verändert: Es wird frecher, origineller, überraschend. Und mit Humor liegt man bei der Zielgruppe besonders weit vorn. Ob selbstironische Web-Fehlermeldungen oder gleich eine ganz neue Ära des „Straight Talkings“ in der Marketing-Kommunikation: Wir zeigen acht Beispiele für die sich verändernde Sprache zwischen Konsument und Marke.
„Es liegt im Wesen der Sprache, dass sie sich verändert.“ Zu dieser Erkenntnis kam der Sprachwissenschaftler Otto Behaghel bereits 1900. Über hundert Jahre später verändert sich die Sprache immer noch, und man möchte meinen, dass dies gerade besonders rasant geschieht.
Social Media hat völlig neue textliche Ausdrucksformen geschaffen. Allein die Notwendigkeit, Botschaften auf Twitter in maximal 140 Zeichen auszudrücken, treibt einen bunten Blumenstrauß aus Stilblüten. Für die Frage nach dem aktuellen Befinden reicht ein „Wg“ (Wie geht’s), was stilecht nur ganz ohne Worte, nämlich mit einem Emoticon beantwortet werden kann.
Würde Otto Behaghel das noch wertfrei als Veränderung bezeichnen? Nach Meinung von Hans Zehetmair, Vorsitzender des Rechtschreibrats, sind Twitter und SMS eine Gefahr für das deutsche Sprachgut. Wie und ob das sprachliche Abendland nun vor dem Untergang bewahrt werden muss, will ich an dieser Stelle nicht beantworten. Aber ein Trend zu einer formloseren, verkürzten und emotionaleren Sprache lässt sich zweifelsfrei ausmachen.
Diese Entwicklung hat auch vor der Marketing-Kommunikation keinen Halt gemacht. Einige Unternehmen experimentieren bereits erfolgreich mit neuen Stilen. Neben Social Media zählen auch Apps und Websites zu den Innovatoren. In digitalen Interfaces herrscht oft Platzmangel, und die Zeit der Nutzer ist knapp. Folglich gilt auch hier „less is more“ bei den Texten. Zu beobachten ist auch eine sehr lockere Schriftsprache, die wie gesprochen klingt.
Vimeo
In den „Häufigen Fragen“ zu Vimeo Plus wird beispielsweise die Frage „Bietet ihr wirklich unbegrenzte Bandbreite ohne Zusatzkosten?“ mit einem lässigen „Yep. Ohne Quatsch.“ beantwortet. Und über ihren Support schreibt die Video-Plattform: „Du kriegst echte Menschen an die Strippe und keine Maschine.“
8tracks
Das Playlist-Portal 8tracks versucht inaktive Nutzer mit einer Sprache wieder zu mehr Aktivität zu bewegen, die auch von einem reumütigen Liebhaber stammen könnte. Sie flehen regelrecht: „Come back. We miss you. We can change.“ In einem entsprechenden A/B-Test hat diese Formulierung übrigens am stärksten konvertiert.
Sparkasse
Ausgerechnet die Sparkasse, die man seltener zu den hippen Start-ups zählt, geht noch deutlich weiter. Die ironische „Gönn Dir ist einfach“-Kampagne diskutiert in beißend-falscher Jugendsprache das Thema Altersvorsorge. Letztere wird dann ganz einfach, so die Kernaussage, „wenn man 1 gute Bank hat vong Vorsorge her“. Der sich darüber entspinnende Dialog mit den Konsumenten auf Facebook findet dann beinahe vollständig in dieser Sprache statt, was vor allem eins ist: ein großer Spaß. Die Kampagne ist nicht unumstritten (was man im Social Media-Marketing schon allein als Erfolg sehen kann), aber in der Summe wohl ein Image-Erfolg für die Marke: „Die sint zienlich sünpatisch gewordn so vong Wärbung her“, so jedenfalls ein User.
Leibniz
Mit einem frechen Scharmützel auf Facebook sorgten Leibniz und Lidl für Unterhaltung. Die bekannte Butterkeksmarke reagierte mit einem Post auf eine Anzeige des Discounters, in der der original Leibniz-Butterkeks zwei Packungen des günstigen No-Name-Produkts von Lidl gegenübergestellt wurde. Leibniz taggte Lidl in dem Post, der klarstellte „Zwei Kopien machen noch kein Original“, was Lidl prompt mit „Finden wir gut, dass ihr „Zähne“ zeigt. Unser „Zahnersatz“ hat aber ein unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis“ konterte. Richtig lustig wurde es, als sich die Bahlsen-Tochter Pick Up einschaltete („Lidl, was hast du da gerade über meine Mutter gesagt?“). Der gekonnte Schlagabtausch dürfte allen Beteiligten Sympathiepunkte eingebracht haben.
Vodafone
Auch der Umgang im Kundensupport ändert sich. Konsumenten wählen Kanal und Zeitpunkt für ihr Anliegen völlig frei, und den Unternehmen bleibt nichts anderes übrig, als spontan darauf zu reagieren. Beim Vodafone Support schallt es dabei auf Twitter so wieder heraus, wie es hineingerufen hat: Ein Kunde möchte anscheinend eine IPv4-Option wieder kündigen und hat dies über Twitter veranlasst. Daraufhin fragt der Support pragmatisch noch mal nach: „Die soll raus?“
Virgin
Ziemlich cool reagierte das Team der Virgin Trains auf den Tweet eines Bahnreisenden nach Glasgow. Erst nach dem Verrichten seines Geschäfts auf der Zugtoilette stellte dieser fest, dass dort kein Toilettenpapier mehr vorhanden war. Er twitterte um Hilfe – und sollte sie auch bekommen. Virgin Trains fragte nur noch kurz nach dem Abteil, in dem er sich befindet, und twitterte schließlich: „We’ll send someone down to you“.
Appboy
Überhaupt ist es oft einfacher, Hürden in der Beziehung zwischen Konsument und Marke mit einer lockeren Sprache zu überwinden. So etwa, wenn die Marke schlicht etwas vom Konsumenten haben will und es authentischer ist, in dieser Situation nicht förmlich um den heißen Brei herum zu reden. Wenn die CRM-Software Appboy auf ihrer Website E-Mail-Adressen einsammelt, dann begegnet sie einer möglichen Sorge der Benutzer, die Daten könnten missbraucht werden, ganz ohne Umschweife: „We promise not to abuse our power if you sign up!“
InStyle
Das Frauenmagazin InStyle schlägt Konsumentinnen ein attraktives Geschäft vor: „Tausche E-Mail-Adresse gegen coole Trends“ lautet hier die originelle Aufforderung zur Newsletteranmeldung.
Und wofür das Ganze? Liegt in der veränderten Tonalität ein Marketing-Potential? Da es in Markenführung und Kundenkommunikation um Glaubwürdigkeit und Sympathie geht, tut man gut daran, eine Sprache zu kultivieren, die authentisch wirkt, weil sie so klingt, wie sich Menschen mit Menschen nun mal unterhalten. Sie muss eine Einladung sein, mit der Marke in Dialog zu treten. Damit sich dabei beim Konsumenten ein gutes Gefühl einstellt, muss er auf die antrainierten Dialogfähigkeiten zurückgreifen können. Diese sind gemeinhin mehr von mündlicher Sprache geprägt als von schriftlicher. Und wenn dieser Dialog dann noch Freude macht, dann sprechen die Konsumenten auch untereinander positiv über die Marke.