Wieder was gelernt: Wieso man mindestens einmal auf einem Barcamp gewesen sein sollte

Fritz Ehlers

Ich habe nichts gegen „Lifelong Learning“. Ganz im Gegenteil. Wischt man den Modewortglitzerstaub ab und spricht es ein paar Mal hintereinander auf Deutsch aus, bekommt es gleich etwas Selbstverständliches, geradezu Bodenständiges. (Ein wenig merkelig vielleicht, wie ihr Motto „Wir schaffen das“.) Die entscheidende Frage aber bleibt: Wie macht man´s am besten?

Sicher, das Netz ist voller Tutorials und Talks. Amerikanische Bestseller-Autoren spülen unaufhörlich Definitely-Must-Read-Material auf Barnes & Noble-Büchertische und Spiegel-Hitlisten. Internationale Konferenzen und Kongresse locken mit Titanen aus Wirtschaft, Marketing und Technik. Ich jedoch möchte die Aufmerksamkeit auf eine Veranstaltungsform lenken, deren Potenzial ich für noch nicht ausgeschöpft halte. Es gibt sie bereits seit mehreren Jahren, sie lebt allerdings in einer Art Parallelwelt jenseits von Glanz und Pomp.

Es geht um Barcamps. Sie selbst nennen sich Unkonferenzen. Unkonferenzen deshalb, weil es dort nicht die klassische Redner-Publikum-Beziehung gibt. Stattdessen gestaltet sich der Ablauf eines Barcamps folgendermaßen:

Zunächst einmal ist der Kostenbeitrag erfreulich gering. Im Schnitt liegt er bei 30 € für zwei volle Tage schlauer Werden, die normalerweise an einem Wochenende stattfinden.

Wenn man bei einem Barcamp eintrifft, steht das Thema in der Regel fest. Facebook. Agile. Foodblogger. Joomla. Lean Management. Außer, es handelt sich um ein sogenanntes Themen offenes Barcamp. Wie zum Beispiel das Barcamp Ruhr. Was oder wer in jedem Fall nicht feststeht, sind die Redner. Sie stellen sich und ihr Präsentationsthema dem Publikum erst zu Beginn des Barcamps vor. Die Präsentationsthemen, die ein hohes Interesse finden (angezeigt durch Handheben des Publikums), werden als Session in einen Sessionplan eingetragen.

Im Sessionplan sieht man, wann und in welchem Saal oder Raum die 45-minütige Session stattfindet. Es laufen immer mehrere Sessions parallel ab. Das Besondere daran: Eine Session kann ein reiner Vortrag sein, muss es aber nicht. Sehr oft wird die zweite Hälfte der zur Verfügung stehenden Zeit für Diskussionen bzw. für den Erfahrungsaustausch genutzt. Es gibt sogar Sessions, in die der „Vortragende“ nur mit einer Fragestellung hineingeht, zu der er sich austauschen möchte.

Ich habe zum Beispiel eine sehr spannende Session mit dem Marketing-Verantwortlichen von Jack Wolfskin als „Vortragendem“ erlebt. Er wollte Anregungen haben, wie er sich gegenüber einem nachvollziehbar ungerechtfertigten Social-Media-Shitstorm verhält. Natürlich hatte er eigene Ideen dazu. Zunächst aber war er gespannt darauf zu hören, was das Publikum sagen würde.

Die Form des Barcamp gibt aber noch mehr her

Die Fachhochschule Darmstadt hat als erste Bildungsinstitution das Potenzial von Barcamps erkannt und setzt sie seit 2014 im Kurs „Web Literacy Lab“ für Erstsemester im Studiengang „Online-Kommunikation“ (#onkomm) ein. Die Themen werden dabei vorgegeben  und orientieren sich an der Web Literacy Map von Mozilla. Es gibt 4 Barcamps mit jeweils 12 Sessions. Dabei dürfen auch eigene Themen vorgeschlagen und präsentiert werden, solange sie sich thematisch mit Web Literacy beschäftigen. Statt einzelner Redner gibt es jeweils eine Gruppe, die sich um ein Thema bzw. eine Session kümmert. Das Projekt wurde von Anfang an evaluativ begleitet. Die Ergebnisse dokumentieren ein höheres Interesse, sich mit den Themen auseinanderzusetzen und eine zusätzliche Motivation durch das Peer-to-Peer-Learning.

 

Wahrscheinlich werden Barcamps niemals den Glamour einer Wired-Konferenz oder eines SXSW-Festivals besitzen. Aber wer unkompliziert und für kleines Geld Inspiration und Wissen sucht, und dazu entspannte Gespräche auf einem wirklich guten Niveau, der sollte hier mal vorbeischauen. Schließlich geht’s beim Lifelong Learning nicht ums Meilen sammeln.

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Fritz Ehlers

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Fritz Ehlers leitet seit August 2011 die Abteilung Art & Copy bei Cocomore. Er war vorher in führender Position unter anderem bei namhaften Netzwerkagenturen wie Publicis und McCann Erickson beschäftigt. Ein guter Kreativer ist für ihn jemand, der sich mehr für Menschen, Kultur und Technologie interessiert als für die Arbeiten seiner zahlreichen Werber-Kollegen. Vier Wörter mit denen sich Fritz beschreibt: neugierig, unverdrossen optimistisch, bärtig.