Virtual Reality: Cocomore zu Besuch in den Produktionsstudios von metricminds
Mit dem Launch der PlayStation VR im vergangenen Oktober hat der japanische Elektronikkonzern Sony der breiten Masse eine vielversprechende Technologie zu einem erschwinglichen Preis von 399 Euro* zugänglich gemacht. Zum Vergleich: Wer mit der OCULUS Rift, dem Konkurrenzprodukt von Facebook, in die virtuelle Realität eintauchen möchte, zahlt dafür aktuell 599 Euro*. Die HTC Vive kostet sogar stolze 899 Euro*. Neben dem Headset braucht man für das 3D-Spieleerlebnis von Sony die PlayStation 4 mit der dazugehörigen Tracking-Kamera – und die ist bereits in Millionen von Haushalten weltweit vorhanden. Kein Wunder also, dass die Verkaufszahlen schon innerhalb kürzester Zeit alle Erwartungen übertroffen haben.
In der Unterhaltungsindustrie gehört Virtual Reality (VR) schon zum Tagesgeschäft. Doch für welche weiteren Branchen lohnt es sich, in die Technik zu investieren? Wie weit ist etwa die Produktion entsprechender Videoinhalte für Healthcare-Unternehmen oder die Automobilbranche? Und: Wie genau funktioniert VR überhaupt? Davon konnten wir uns vor einigen Tagen in den Frankfurter Produktionsstudios von metricminds selbst überzeugen: Bei einem exklusiven Workshop für unsere Mitarbeiter haben wir den Spieleentwicklern einen Tag lang über die Schulter geschaut und konnten von der PlayStation VR bis zur HTC Vive und der OCULUS Rift testen, was das Zeug hält. Die Jungs von metricminds haben uns dabei Rede und Antwort gestanden – darunter auch Gründer und Geschäftsführer Philip Weiss sowie Director Cutscene & Technical Artist Christoph Schulte.
*Quelle sind die Onlineshops gängiger Elektronikmärkte, Angaben ohne Gewähr, Stand 01.02.2017
Christoph, ganz kurz: Wer steckt hinter metricminds?
Christoph: Wir sind Experten für Animation und haben bereits zahlreiche Realtime Videos für internationale Spielehersteller wie Warner Bros. Games Montreal oder Splash Damage gedreht. Herzstück unserer 500 Quadratmeter großen Produktionshalle in Frankfurt am Main ist das Motion-Capture-System mit insgesamt 68 Kameras. Diese machen es möglich, die Bewegungen von bis zu zwölf Schauspielern im Tracking-Anzug zu erfassen. Beste Voraussetzungen also, um High-End- Animationsfilme in 3D für Videospiele oder die Werbeindustrie zu drehen.
Was ist Virtual Reality und wie funktioniert das Ganze?
Christoph: Virtual Reality ist eine Umgebung, die durch Animationen auf dem Computer geschaffen wurde und in der wir uns in Echtzeit bewegen können. VR befasst sich also mit dem, was wir sehen, und wie wir diese visuellen Reize wahrnehmen. Die Immersion, also das Eintauchen in eine Szene mit all ihren Details, spielt dabei eine große Rolle. Je höher der Grad der Immersion, desto authentischer wirkt das Gesehene für uns. Als Übertragungsmedium dienen die sogenannten Head-Mounted Displays (HMD). Sobald wir ein Headset wie die PlayStation VR aufsetzen, betreten wir eine andere Welt. Die Umgebung und alle Gegenstände, die wir wahrnehmen, sind computergeneriert.
Wie läuft ein VR-Computerspiel ab?
Christoph: Bei der PlayStation ist es beispielsweise so, dass die Tracking-Kamera der Konsole die Bewegungen der VR-Brille erkennt und das passende Bild dazu liefert. Dreht sich der Kopf also nach links, schwenkt das Bild mit, geht der Blick nach oben, sieht man in den Himmel und so weiter. Mit dazugehörigen Steuerelementen, also einem Controller, kann sich der Spieler so zum Beispiel auf einem Phantasieplaneten durch den Dschungel bewegen und einen T-Rex in 360-Grad-Optik betrachten, während er auf dem Sofa sitzt. Hier ist zu beachten, dass es eine häufig auftretende „Motion Sickness“ bei VR-Spielen gibt. Die Diskrepanz zwischen dem, was unsere Augen in der virtuellen Welt sehen und dem, was unser Körper tatsächlich tut, schlägt vielen schnell auf den Magen. Das passiert vor allem, wenn man sich in der virtuellen Realität fortbewegt, während man in Wirklichkeit auf dem Sofa sitzt. Auch die Wiederholungsrate der Bilder (fps) hat einen starken Einfluss auf die Motion Sickness; je höher die Refresh Rate, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass einem übel wird. Die Sensibilität auf die außergewöhnliche Sinneswahrnehmung ist jedoch von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Welche Alternativen zum PlayStation-System gibt es auf dem Markt?
Christoph: Brillen wie die Google Daydream oder Samsung Gear VR werden ganz einfach über das Smartphone betrieben. Hierfür muss lediglich die gewünschte Animation gestartet und das Gerät in die VR-Brille eingesetzt werden. Die beste Bildqualität ist allerdings gegeben, wenn ein HMD, wie beispielsweise die HTC Vive oder Oculus Rift, an einen Hochleistungsrechner angeschlossen wird.
Philip, wie sieht eine typische Kundenanfrage bei euch aus?
Philip: Die Animation von Computerspielen ist unser Spezialgebiet. Den Hauptteil unserer Kunden machen also Spielehersteller, meistens aus dem Ausland (England, USA, etc.), aus. Häufig erhalten wir ein Skript, in dem die verschiedenen Charaktere beschrieben werden. Unser Job ist es dann, eine visuelle Story dazu zu entwickeln. Aber es geht bei uns nicht ausschließlich um Gaming: Wir erhalten auch immer mehr Anfragen von Unternehmen aus anderen Industriezweigen und freuen uns über diese Abwechslung.
Für welche Branchen ist VR auch interessant?
Philip: In der Gaming-Szene ist VR zwar bereits relativ weit verbreitet, aber die Technologie ist noch sehr jung, was uns ein starkes Wachstum des Marktes in den nächsten Jahren voraussagen lässt. Grundsätzlich kann VR künftig für jedes Unternehmen nützlich sein: Von der 360-Grad-Präsentation für das Architekturbüro bis hin zum Ultraschallvideo in 3D für die Gynäkologische Praxis oder dem VR-Werbevideo für Sportartikelhersteller gibt es zahlreiche Einsatzmöglichkeiten. Gleichzeitig poliert der Einsatz der modernen Technik das Image auf.
Christoph: Die Automobilindustrie bietet wahrscheinlich einen der größten Märkte. Für einen Autohersteller haben wir bereits eine normale App entwickelt, mit der Sales-Teams für Verkaufsgespräche geschult werden sollen. Diese Art der Ausbildung ist aber sehr leicht auch in VR denkbar. In der Simulation kann der Mitarbeiter den Dialog mit einem virtuellen Kunden auf seinem iPad üben. Die Produktion von Gamification-Applikationen hat großes Potenzial und ist für uns sehr interessant, weil wir hier unsere Expertise aus der Animation einfließen lassen können.
Wird mit VR in Zukunft alles besser?
Christoph: Naja, zumindest kann VR in Zukunft viel Gutes tun: In der Medizin beispielsweise gibt es besonders viele denkbare Einsatzgebiete. Die Technik ermöglicht Ärzten in Zukunft eine bessere Diagnose und somit die schnellere Einleitung entsprechender Heilverfahren. Nach einer Amputation beispielsweise könnten VR-Simulationen nach dem Prinzip der Spiegeltherapie eingesetzt werden, um Phantomschmerzen zu bekämpfen, oder während der Physiotherapie mit gelähmten Patienten können sie dabei helfen, die Bewegung zurück zu erlangen und zu trainieren. Und auch in der Medizin lässt sich natürlich Fachpersonal mittels VR in den verschiedensten Bereichen schulen.
Wo genau liegt eigentlich der Unterschied zwischen Virtual und Augmented Reality (AR)?
Christoph:Bei Augmented Reality werden animierte Dinge über das gelegt, was wir real vor uns sehen – man spricht deshalb auch oft von Mixed Reality. Die App „Pokémon Go“ war letztes Jahr ein Riesenhit und ist ein gutes Beispiel für AR. Der Immersionsgrad ist im Vergleich zu VR allerdings nicht sehr hoch, da die Bildqualität der Grafiken nicht mit unserer Realität übereinstimmt und man sich so spürbar in zwei unterschiedlichen Welten befindet. Der Softwareentwickler Microsoft arbeitet mit der „HoloLens“ aktuell daran, die passende Hardware für den AR-Alltag zu entwickeln.
AR oder VR – was glaubt ihr, wer macht am Ende das Rennen?
Philip: AR ist zwar aufwendiger zu produzieren, hat aber das größere Potential künftig in den Alltag der Menschen integriert zu werden, weil es mehr Anwendungsgebiete und einen hohen Nutzen für den täglichen Gebrauch gibt. Mit VR hingegen kann man dem Alltag eine Weile entfliehen, indem man eine andere Welt betritt – hier ist also für die künftige Entwicklung ebenfalls alles denkbar. So könnte es beispielsweise sein, dass man Onlineshops in Zukunft irgendwann mal virtuell „betreten“ kann, um sich die gewünschten Waren vor dem Kauf in 360-Grad-Optik anzuschauen.
Christoph:Grundsätzlich gibt es aber bei beiden Methoden noch viele Herausforderungen, die Entwickler meistern müssen, bevor VR oder AR zur Normalität werden kann.
Danke euch beiden für das Gespräch!
Über Philip Weiss und Christoph Schulte
Philip Weiss, Gründer und Geschäftsführer von metricminds, ist gelernter Filmemacher und hat Ende der 90er-Jahre am Emerson College in Boston „Broadcasting and Film“ studiert. Schon früh entdeckte er dabei seine Leidenschaft für animierte Filme. Damals steckte die Technik allerdings noch in den Kinderschuhen. Zurück in Deutschland hat sich Philip 2001 mit dem Gedanken „da geht noch mehr“ dazu entschieden, ein Service- Unternehmen für Animation in Frankfurt zu gründen.
Christoph Schulte hat an der FH Gießen-Friedberg Medieninformatik studiert und ist seit 2009 als Director Cutscene/Technical Art fester Bestandteil des Teams. Bereits 2006 verfasste der Diplom-Ingenieur seine Abschlussarbeit zu „Facial Capture“ bei metricminds.