Zu einer unbekannten Zeit, einmal täglich und innerhalb von nur zwei Minuten ein Foto hochladen und mit seinen Freund:innen teilen: Das ist BeReal. Die „Iphone-App des Jahres 2022“ ist eine Rückbesinnung auf die Zeit, als das Internet noch chaotisch war.
Mehr Schein als Sein
Nach der Twitter-Übernahme von Elon Musk steht bei dem Unternehmen kein Stein mehr auf dem anderen, wofür der Tech-Mogul heftig in der Kritik steht. Auch Facebook hat schon seit Jahren mit stagnierenden User:innen-Zahlen zu kämpfen und muss sich neu erfinden. Mark Zuckerbergs Metaverse beklagt zurückgehende Werbeeinnahmen und schreibt aufgrund zu hoher Entwicklungskosten rote Zahlen: neun Milliarden Dollar Verlust allein 2022. Und Instagram entwickelt sich immer mehr zur Werbeplattform, was für viele Nutzer:innen ein Fluch, für das Influencer:innen-Marketing jedoch ein Segen ist. Einzig TikTok erfreut sich immer größerer Beliebtheit und ist schon längst bei der jüngeren Zielgruppe die Nummer 1.
Time to BeReal
Einen neuen Social-Media-Trend auszulösen, ist nicht so einfach. Und gelingt es dann doch, ist das Ganze wie im Fall von Clubhouse oft genauso schnell Geschichte wie der Hype überhaupt startete.
Doch die beiden früheren GoPro-Mitarbeiter Alexis Barreyat und Kevin Perreau haben mit ihrer bereits im Dezember 2019 veröffentlichten App BeReal vielleicht die Chance, sich längerfristig zu positionieren. Die Idee ist so einfach wie genial: Es geht um das reale Leben. Anstatt Doomscrolling und nerviger Werbung sehen die Nutzer:innen nur ihre Freund:innen und können diese auch nicht 24/7 beobachten, da jeder Beitrag, nachdem er hochgeladen wurde, nach 24 Stunden wieder verschwindet. Was man in der Vergangenheit veröffentlicht hat, sehen andere User:innen ebenfalls nicht. Das führt dazu, dass die Verweildauer in der App begrenzt ist – im Gegensatz zu anderen Social-Media-Plattformen, die einen so lange wie möglich binden wollen. Damit möchten die Erfinder einem ungesunden Online-Verhalten entgegenwirken. (Mehr dazu hier).
So funktioniert BeReal:
- Einmal am Tag bekommen alle User:innen gleichzeitig eine Push-Nachricht.
- Wird die App geöffnet, läuft ein 120-Sekunden-Countdown herunter.
- In der Zeit muss man ein Bild erstellen und hochladen.
- Das Bild kann nur mit den eigenen Freund:innen oder wahlweise öffentlich geteilt werden.
- Die Besonderheit ist, dass beim Fotografieren gleichzeitig die Front- und Selfie-Kamera ausgelöst wird.
- Das Ergebnis zeigt dann nicht nur, was man gerade macht, sondern auch die ungeschönte Realität – ohne Filtermöglichkeit oder weitere Bildbearbeitung.
Show me what you got
Füße auf dem Sofa, ein Laptop-Bildschirm, das Feierabend-Bier, ein wackliger Blick auf einen Stadtpark oder auch ein Urlaubsbild aus Venedig – keine Filter, keine Nachbearbeitung, kein Posing. Anfangs löst das eventuell etwas Unbehagen aus, da wir es eher gewohnt sind, das beste Selfie aus 20 Versuchen hochzuladen. Doch die Vorgehensweise von BeReal hat seine Vorteile. Denn nicht nur man selbst veröffentlicht so einen unverfälschten Blick auf sich, auch die eigenen Freund:innen müssen etwas veröffentlichen, ansonsten sehen sie selbst auch keine Bilder. Dadurch haben User:innen keine Chance, die nur ihren Voyeurismus stillen wollen – wer Content will, muss auch etwas bieten.
Bei BeReal können nur Momentaufnahmen geteilt werden, aber keine vorgefertigten Posts oder Videos – und diese kann man auch nicht wie gewohnt „liken“. Jedoch gibt’s eine andere Funktion. Im Handumdrehen ist ein Reaktions-Bild erstellt: Mit einem „Daumen hoch“ oder einem „Lächeln“ wird auf andere Beiträge reagiert. Und eine Kommentarfunktion gibt es ebenfalls.
Relevant für Unternehmen?
Eine neue Social-Media-Plattform ist nicht nur für Nutzer:innen, sondern auch für Unternehmen interessant. Aber es ist nicht gerade einfach, sich auf BeReal zu platzieren, denn das widerspricht ja im Prinzip der Grundidee der Erfinder. Bezahlte Werbung, Business-Accounts und Bearbeitungs- oder Planungstools? Fehlanzeige.
Jedoch sollten Unternehmen sich davon nicht abschrecken lassen und auf ihren Innovationsgeist setzen. Allein die User:innen-Zahlen sind ein Argument für sich: Die App wurde im Oktober 2022 bereits weltweit täglich von 20 Millionen Nutzer:innen aktiv genutzt – Tendenz steigend. Und auch in den deutschen App-Stores glüht der Download-Button. Apple kürte BeReal daher nun zur „iPhone-App des Jahres 2022".
Authentizität ist das Stichwort
Was braucht es also, um junge Menschen von der eigenen Marke via BeReal zu überzeugen? Mut zur Offenheit und jede Menge Kreativität. Jedoch sollte die Strategie eine ganz andere sein als beispielsweise auf Instagram. Hier stehen allzu oft gestellte Hochglanzbilder im Fokus – Stockfotos lassen grüßen!
BeReal muss als Chance gesehen werden, neue Wege zu beschreiten. User:innen können Produkte oder Services in ihr Bild, das sogenannte Real, einbinden. Wer mit Influencer:innen zusammenarbeiten möchte, sollte darauf achten, dass die Marke wie im realen Leben zum Einsatz kommt und einen Mehrwert generiert. Beispielsweise: Während die Pizza zubereitet wird, kann man mit dem Karton in der Hand in die Selfie-Kamera grinsen und die Front-Kamera auf den Ofen richten: „Mmmh, in nur 12 Minuten fertig und schmeckt wie in Italien!“ Eine andere Variante wäre, nach der Kaffeezubereitung den perfekten Latte Macchiato inklusive Produktplatzierung zu präsentieren. Es gibt viele Möglichkeiten – und der große Vorteil gegenüber anderen Social-Media-Plattformen: Die Werbung kommt authentisch rüber.
Employer-Branding 2.0
Eine weitere Möglichkeit für Unternehmen, BeReal zu nutzen, ist, den wahren Blick hinter die Kulissen zuzulassen. Wer seinen Mitarbeiter:innen ein Smartphone in die Hand drückt, mit dem echte Einblicke in den Arbeitsalltag entstehen, kann mit Glaubwürdigkeit punkten. Lange Konferenzen anstatt engagierter Models und gemeinsame Lunchtime anstatt gestellter Szenen.
Eine andere Chance bieten Rabatt-Codes oder Coupons. Die mexikanisches Essen anbietende Fast-Food-Kette Chipotle hat das beispielsweise mit einer Aktion unter Beweis gestellt. So haben für vier Tage die ersten 100 Burrito-Fans, die den Code „FORREAL“ bei Ihrer Online-Bestellung eingegeben oder im Restaurant genannt hatten, eine Vorspeise aufs Haus bekommen.
BeReal: Ausblick auf die Nutzung
Wichtig wird es sein, die Zielgruppe, vor allem die Generation Z, und deren Bedürfnisse zu verstehen. Der Spirit von BeReal spielt hierbei die entscheidende Rolle. Die User:innen möchten nicht mit Werbung erschlagen werden, daher haben sie sich ja bewusst für diese Plattform entschieden. Es braucht Innovation und eine ordentliche Portion Kreativität – just BeReal!